Heute um 9.00 Uhr
werde ich mit der Gitterbox, die ich gestern Abend vom Tierarzt geholt habe,
den alten Kater Paul von seinem geliebten Platz am Fensterbrett von Friedels
Küche weglocken und ihn für immer fort bringen. Seit dem schrecklichen Tag, an
dem Friedel abgeholt und nie mehr zurückkehren sollte, wartet er Tag täglich
vergebens und es wird nachts frostig kalt. So kann das nicht mehr bleiben.
Auf der Fahrt zum
Tierarzt jammert und schreit Paul wie ein kleines Kind. Wie kann er auch
wissen, dass er möglicherweise ins Rentnerparadies kommt?
Ich kenne Paul seit etwa 10 Jahren. Wie viele freilaufende Katzen hier in diesem Dorf lungerte er
eben irgendwo rum oder kreuzte zufällig die Straße, wenn ich vorbei kam. Ich
machte mir damals nicht besonders viele Gedanken über ihn.
Vor knapp
sechseinhalb Jahren kam Max, mein Labrador, in unser Leben und Paul, der Kater,
war die erste Katze, die Max hier zu Gesicht bekam. Freudig wedelnd eilte Max
auf Paul zu und Paul wedelte ebenfalls, jedoch aus anderem Grund. Bevor wir
Menschen irgendetwas unternehmen konnten, holte sich mein armer Max eine
blutige Nase und fortan waren die beiden so genannte „Lieblingsfeinde“.
Paul sollte sich
als echter „Kampfkater“ entpuppen. Er lauerte in den hohen Grasbüschen des Wegrandes
und wartete geduldig, bis Max und ich vorbei kamen. Wir hatten ja unsere festen
Gehzeiten und Paul hielt sich pünktlich daran. Dann kam ein Kratzpfötchen aus
dem Busch hervor, in welchen Max seine Nase gerade reinstecken wollte und die
Beiden waren ein Knäuel. Ich hatte mehr Angst um Max als um Paul.
Eines Tages
verstarb Friedels letzter Kater Bruno, worüber Friedel außerordentlich traurig
war, denn nun lebte sie gänzlich allein im Rapunzelschloss. Genau zu dieser
Zeit entschloss sich Paul, zu Friedel überzusiedeln.
Sicherlich besuchte
er schon einige Wochen vorher das Rapunzelschloss, denn Friedel hatte immer
wieder Besuch von irgendwelchen Katzen, die gerne den Nachmittag dösend in
ihrem Wintergarten oder im Bett eines ihrer Gästezimmer verbrachten, „all
inclusive“ natürlich mit bestem Futter, Katzenmilch und Streicheleinheiten.
Paul war da schon
in einem recht hohen Alter und ein neuer Junghund war bei Pauls Exfrauchen
eingezogen. Wahrscheinlich zu viel Hype und Stress für Paul, der es im Alter
wohlüberlegt vorzog, fortan etwas ruhiger zu leben. Er wechselte also für immer
die Straßenseite – Friedel war glücklich und Pauls Exfrauchen hatte nichts
dagegen einzuwenden, da es ihrer Meinung nicht gut für Friedel sei, so ganz
allein zu leben.
Friedel vergötterte
Paul und Paul befand sich nun in der äußerst günstigen strategischen Lage, Max
anzugreifen, sodann kurzerhand hinter Friedels Lattenzaun zu verschwinden und
dem keifenden Max im Schutz des Zauns mächtig einzuheizen. Max fiel immer
wieder darauf rein. Die ganze Nachbarschaft schien sich darüber zu amüsieren.
So vergingen die
Jahre, Pauls Exfrauchen war längst weggezogen. Als Friedel das Krankenhaus
aufgrund ihres hohen Alters ab und an besuchen musste, versorgte ich in der
Zwischenzeit Paul und hatte nun die Gelegenheit, diesen mysteriösen „Kampfkater“
kennen zu lernen. Was war das wohl für Einer, der meinem Hund so zusetzte?
Paul entpuppte sich
zu meinem Erstaunen als außerordentlich anhänglicher Schmusebär und als…
Wasserratte. Eine Katze und Wasser? Nun spielten wir Wasser fangen in Friedels
Spüle. Friedel hatte für ihren Liebling überall Wassertöpfe stehen, in denen er
nach Herzenslust rumpantschen konnte. Oder ich zerrte ihn aus dem Regen, in dem
er mitten auf der Kreuzung zufrieden saß, und rubbelte ihn ins Badetuch, was er
außerordentlich genoss.
Paul und ich hatten
–während Friedels Krankenhausaufenthalten- dreimal täglich feste Zeiten
„vereinbart“ und er hielt sich recht genau daran. Fresschen, wasserspielen,
knuddeln und ab in seinen Karton, aufs Sofa oder in Friedels Bett.
Die letzte
„Dorfstory“ , die um Paul die Runde machte:
Mein Mann lief mit
Max und einem anderen Herrn mit dessen Hündin den Planweg zum Dorf entlang, als
dieser seine Hündin anleinte mit den Worten: „Sie ist noch so ungestüm und soll
keine Katzen angreifen!“ Kaum hatte er die Hündin angeleint und sie kamen an
Friedels Zaun entlang, so stürzte sich Paul wie der Leibhaftige auf die Hündin,
hing rittlings auf ihr wie bei den Bremer Stadtmusikanten während Max versuchte,
Paul zu kriegen und die Hündin zu retten. Die Menschen waren geschockt, die
Hündin ebenfalls, Max hatte im Freilauf kläglich versagt und Paul verschwand
hinter Friedels Zaun, um mit einem keifenden Max Pfötchenspiel zu spielen…
Paul war nun im Laufe
der Jahre richtig alt geworden, sein Fell wurde struppig; er hatte das Kämpfen
mit Max aufgegeben und machte sich aus dem Staub, wenn mein Hund knurrend und Fell
sträubend Paul an der Straßenecke sichtete. Also passte ich auf, da nun keine
Chancengleichheit zwischen den Beiden mehr bestand. Max, in der Blüte seines
Lebens und „Oberchef“ des gesamten Tals, hatte schließlich mit Paul noch einige
Rechnungen offen.
Paul lief nun nicht
mehr weit vom Haus weg, lungerte im Frühjahr in der von ihm platt gewalzten
Pfingstrose im Garten rum oder spielte jeden Morgen ewig lang im angrenzenden
Bach sein Wasserspiel.
Da Friedel einige
Male im Krankenhaus verschwunden war, ließ er sie nicht mehr aus den Augen und
folgte ihr überall hin. In der Straße galten sie als die „zwei Alten“.
Als Friedel nicht
mehr von ihrem letzten Krankenhausaufenthalt zurückkehren würde, Haus und Hof
verschlossen waren, die Nachbarin von gegenüber den Auftrag von der
Nachlassverwalterin bekam, Paul zu füttern – ihn jedoch nicht zu sich nehmen
konnte, war meine Sorge entsprechend groß.
Nach unzähligen
Telefonaten auf der Suche nach einer guten Bleibe für Paul war mir das Glück
hold und Paul sollte nach dem Tierarztbesuch bei einer sehr netten Frau in
deren Wohnung aufgenommen werden.
Als wir ihn beim
Tierarzt aus der Box hoben, war er friedlich und ließ still und brav die ganzen
Untersuchungen über sich ergehen. Ich wartete eine halbe Stunde auf das
Ergebnis der Blutuntersuchungen bei einem nebligen Spazierganz am See entlang,
zwischen Hoffnung und Bangen.
Nun war das
Ergebnis gut verlaufen und mir fiel ein Stein vom Herzen. Da Pauls Zähne
katastrophal waren, bereits eiterten, mussten sie entfernt werden.
Paul wurde also
stationär aufgenommen und verblieb einige Tage beim netten Tierarzt in der
Klinik. Täglich telefonierten Max neues Frauchen und ich über das Befinden von
Paul, der in der Zwischenzeit die Herzen der gesamten Tierklinik erobert hatte.
Nun kam der
verheißungsvolle Abend, wo Paul von seinem neuen Frauchen abgeholt werden würde.
Ich fuhr hin und es war einfach ein schönes Gefühl. Diese Frau würde gut für
Paul sorgen.
Er wurde in ihre
Box gesetzt und fing sofort an, wieder wie ein kleines Kind zu jammern. Pauls
neues Frauchen fragte noch, ob er dies die ganze Fahrt über tun würde…
Und
ALLE waren sich einig: JA!
Ich wünsche Paul von
ganzem Herzen das Seniorenleben im Paradies.
Paul in seinem
neuen Heim:
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