Götter in Weiß



Laut der gängigen Meinungen sollte ein Mensch, der sich selber lieb hat, wenigstens einmal im Jahr beim Arzt auftauchen, um die Vorsorgeuntersuchungen zu bewerkstelligen.
 
Nun habe ich einen neuen Frauenarzt aufgesucht, da mein Vorheriger mich, seine ihm anvertraute Patientin ohne Gespräch in eine Minikammer zitierte, wo ich ganz nackt 20 Minuten auf meinen Auftritt warten musste und die äußerst wortkarge Untersuchung über mich ergehen ließ, um wieder zum Ankleiden in meiner Zelle zu verschwinden. Vollkommen unpersönlich, fast wie im Schachthof.
 
Bei einer solchen Abfertigung lassen sich natürlich eine Menge Patientinnen pro Tag bedienen, so überlege ich mir, die Kasse stimmt entsprechend. Das entsprach ganz und gar nicht meinem Seelenheil. Sollte ein Arzt nicht -seiner Berufung folgend- in erster Linie der Menschheit dienen und erst in zweiter Linie Kohle machen?
 
Ich betrete also die Praxis meines neuen Frauenarztes, der der Mann meines fraulichen Vertrauens werden soll. Nette Dame im Empfang, kleines Wartezimmer und ich warte … und warte. „Der Mann nimmt sich Zeit“, denke ich mir und „dafür lohnt sich das Warten doch…“
 
Nach einer Stunde komme ich dran. Eine überaus freundliche Dame ruft meinen Namen und ich folge ihr. Wir betreten ein nettes kleines Zimmer mit sehr bequemen Sesseln. Ich lasse mich nieder und die Dame beginnt ein –wie sie es nennt- Beratungsgespräch.
 
Die Kasse würde ja –wie wir alle wissen- nur begrenzt bezahlen – die Medizin wäre allerdings schon viel viel weiter! „Die Medizin oder die Gier?“ frage ich mich und ein winziger Zweifel taucht in meinem Herzilein auf.
 
Während sie bedeutsam vor sich hinplaudert, wandert mein Blick zu den Verkaufsständen, die in dem kleinen Zimmer aufgebaut sind. Den bunten Prospekten von Bayer und den riesen Postern mit glücklich lächelnden Frauen, die die Superleistungen in Anspruch genommen haben und sich nun den wirklich wichtigen Dingen im Leben zuwenden können.
 
Die Ultraschall, die den Krebs sichtbar macht, den man nicht tasten kann – 40,00 €.
Die wesentlich bessere Stuhluntersuchung, die bereits ganz kleine Polypen feststellt, die man dann vorsorglich wegschneiden kann (mir wird ganz anders, denn ich will gar nix wegschneiden) für schlappe 80,00 €.
Oder der Super Abstrich, der jede einzelne auch nur annähernd verdächtige Krebszelle ganz klar aufzeigt (Ich frage mich, wo der hergenommen wird und wie) für lediglich 70,00 €.
 
Ich bin jetzt schon bei 190 Euro angekommen und mein ganzer Körper tut mir weh, weil überall versteckte Krebszellen an mir rumknabbern, die durch die normale Vorsorgeuntersuchung, die ich bereits seit 40 Jahren schadlos überstanden habe, überhaupt nicht entdeckt wurden.
 
Während die nette Dame unbeirrt weiterquasselt, ab und an bedeutsam die Augenbrauen hebt, um zu unterstreichen, wie sehr sich mein Leben ohne diese extra Untersuchungen verkürzen könnte, unterbreche ich sie mit den schüchternen Worten: „Ich habe 10 Euro dabei – können Sie was für mich tun?“
 
Die Dame schweigt plötzlich und schaut mich befremdet an. Eine scheußliche Stille durchschneidet das nette Zimmer und ihre großen, einst lächelnden Augen kneifen sich zu winzigen Schlitzen zusammen. Ich kann richtig sehen, wie sich in ihrem Hirn die Schublade der Verlierer öffnet, in der ich verschwinde.
 
Eine Tür öffnet sich, und mein neuer Arzt betritt den Raum und bittet mich herein.
 
„Was machen wir?“, fragt er mich freundlich lächelnd und seine weißen Zähne blitzen wie die eines Haifisches.
 
„Normale Kasse!“ sage ich mit fester Stimme…
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