Spieglein, Spieglein...




... an der Wand...

Wenn ich in den Spiegel schaue, fällt es mir immer schwerer, noch den Mut aufzubringen, mich demnächst für „Deutschland sucht das Top-Model“ zu bewerben.
 
Im Fernsehen, in jeder Zeitung und auf jeder Werbetafel lächeln sie mich an, die Glücklichen, die jungen Körper mit straffen Brüsten. Faltenlos grinsen ihre Münder mit strahlend weißen Zähnen. Sie recken mir ihren nackten Busen ins Gesicht oder ihre knackigen Ärsche. Sie sind überall da, wo die Erfolgreichen eben auch sind – und die Erfolgreichen sind natürlich alle jung und schön.
 
Mein Gesicht rückt noch näher an den Spiegel heran, denn ohne Brille sehe ich nicht so gut. Diese Myriaden von roten Äderchen, die sich über Wangen und Nase ziehen. Da gibt es sogar einen Namen für… hm … ich hab’s vergessen. Auf jeden Fall lassen die mich aussehen, wie Miss Piggy. Was, wenn das so weiter geht und die sich über den ganzen Körper ziehen? Bin ich dann… Spiderman?
 
Mit etwas Pampe wären die vielleicht zu kaschieren. Im Internet unter "Life-Style" lese ich, dass ich erst mit einem grünen Abdeckstift vorzuarbeiten habe, dann die hautfarbene Pampe drauf ... jedoch wären die roten Dinger unter der Fassade immer noch da und ich wüsste das natürlich. Was, wenn mitten im fast greifbaren Erfolg eine Hitzewelle die Pampe wegschwemmt? Nicht auszudenken! Ich würde auffliegen! Mit jedem Tropfen Schweiß, der hässliche Rinnsale in die Maske schwemmt, die knallig rot geplatzten Äderchen freilegend.
 
Die komischen dicken Haare, die irgendwann vereinzelt und dann wie Pilze nach einem Herbstregen unter meiner Nase wuchern, müssen auch mal wieder rasiert werden. Erst hatte ich sie gezupft – oh Mann, tat das weh und war, ohne dies zu einem Hobby stilisieren zu müssen, einfach nicht mehr machbar.
 
Von der Nase bis zur Oberlippe haben sich senkrechte Falten gebildet. Vielleicht sollte ich mein Gebiss des Nächtens im Mund behalten oder Tampons unter die Oberlippe schieben, damit die Spannung erhalten bleibt?
 
Und wie die Haut unter den Augenbrauen sich langsam aber sicher über meine Lider schiebt. Einfach ätzend! So faltig, wie die nackte Haut eines gerupften Suppenhuhns, die man mindestens einen Zentimeter vom Korpus wegziehen kann, ohne dass was Tragisches passiert.
 
„Alt werden ist schön“, so reden sich manche gut zu.
 
Mein Hausarzt meint, man solle sich nichts vormachen. Jetzt, da ich mich nicht mehr reproduzieren kann, will mich die Evolution einfach nur noch loswerden. „Ab 50 altert man im Zeitraffertempo“, verrät er mir über den Tisch. Ein ekelhafter Gedanke. Mein prüfender Blick in den Spiegel lässt mich jedoch ahnen, dass der Mann durchaus Recht haben könnte…
 
Vielleicht sollte ich die Pflegeserie für die Haut ab 60 ausprobieren, mit Antipipifizitinsäure und dem Wohlfühlvitamin Z35.
 
Soll ich kämpfen – gegen die Werbeplakate, den Schönheitswahn der Gesellschaft, gegen die roten Äderchen? Soll ich an die Antipipifizitinsäure glauben, der Evolution in den Arsch treten?
 
Ich kann nicht ändern, was nicht zu ändern ist. Das klingt zumindest – nicht unbedingt tröstlich – aber immerhin … weise.
  
Während ich mit meinem Hund den morgendlichen Wald durchstreife, packt mich wieder mal eine Hitzewelle so heftig, dass mich mein Bewusstsein trübt. Ich sehe mich niedersinken und nach Luft japsen. Mein Hund sucht sich die Leckerlies aus meiner Tasche, pinkelt mir auf den Kopf und wendet sich seiner neuen Zukunft zu. Während mir die Sinne schwinden, sehe ich meinen Hausarzt vor mir:
  
 „Im Zeitraffertempo“, sagt er noch.
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